SAP kommt wegen Produktproblemen nicht zur Ruhe
SAP kommt wegen Produktproblemen nicht zur Ruhe. Ganz sicher auch zur Freude der Konkurrenten. Die jüngsten, durchaus positive Meldungen: „Google setzt auf SAP„, eine Kooperation mit Microsoft sowie die erfolgreichen Quartalszahlen Q1 2021 sind kaum verklungen, da knirscht es gewaltig im Gebälk.
Den Vorwurf bzgl. eines Produkts auf dem französischen Markt meldet tageschau.de:
„Viele Firmen haben mit der Einführung von SAP-Software schlechte Erfahrungen gemacht – offenbar zu viele. Denn in einem Gerichtsprozess in Frankreich wollen SAP-Aufsichtsräte nun gegen das Unternehmen aussagen.“
Und, wenn sich das bewahrheitet, dann fällt einem ganz schnell der VW-Diesel-Skandal ein. Sicher ist das nicht zu vergleichen, aber wenn ehemalige Aufsichtsräte der SAP sich über ihren früheren Konzern kritisch äußern, dann ist für den Vorstand rund um Christian Klein „Alarmstufe Rot“ angesagt.
SAP kommt wegen Produktproblemen nicht zur Ruhe – Wie lauten die Vorwürfe bzw. was schreibt Tagesschau.de:
„Es geht um die SAP-Software Chorus. Diese Buchhaltungs- und Finanzsoftware hatte das französische Verteidigungsministerium im Jahr 2009 installieren lassen. Das Programm arbeitete so fehlerhaft, dass Rechnungen verspätet oder gar nicht bezahlt wurden. Durch das Desaster gingen in Frankreich zahlreiche Dienstleister pleite.
Einer von ihnen ist Lionel Bieder. Seine Reinigungsfirma ging 2013 insolvent, weil das Ministerium Rechnungen in Millionenhöhe nicht zahlte, der Geldfluss stockte und Kunden absprangen. Deshalb verklagte der 50-Jährige den Staat Frankreich auf 20 Millionen Euro Schadensersatz. „Mehr als 1000 kleine und mittelgroße Unternehmen sind kollabiert, mehr als 15.000 Arbeitsplätze hat Chorus vernichtet“, sagt Bieder. Er selbst habe etwa 300 Leute entlassen müssen.“
SAP kommt wegen Produktproblemen nicht zur Ruhe
Als Marktbeobachter spürt und hört man schon lange kritische Stimmen. Nur etwas laut sagen wollte bzw. will kaum jemand. Einzig die DSAG, das Sprachrohr der SAP-Anwender, legte immer wieder den Finger in die Wunden der SAP. Wer das Klagen der DSAG nicht mitbekommen hat, muss nur ein paar Schlagworte eingeben und wird schnell fündig. Z. B.
- Aus dem Jahr 2012: DSAG kritisiert die HANA-Strategie
- Aus dem Jahr 2017: DSAG kritisiert SAP-Stellungnahme zur «indirekten Nutzung»
- Aus dem Jahr 2019: Anwender verstehen SAP nicht mehr
- Aus dem Jahr 2020: SAP muss seine Versprechen schnell umsetzen
Auf der Recherche stößt man dann automatisch auch auf einige kritisch verlaufende, deutsche Projekte:
- Aus dem Jahr 2018: So starb „Elwis“: Hintergründe zu Lidls SAP-Rückzug
- Aus dem Jahr 2018: Die lange Liste schwieriger und gefloppter SAP-Projekte
- Aus dem Jahr 2019: HARIBO – Versuchskaninchen der SAP?
- Aus dem Jahr 2020: Wie eine SAP-Software „Rama“ in Schwierigkeiten bringt
Und das sind nur einige Beispiele: Die gesamte Liste der öffentlich geäußerten Vorwürfe ist durchaus lang. Klar, SAP hat auch immer reagiert und versprach Besserung. Aber genau das ist das Kernproblem.
Auf der anderen Seite: Wie zufrieden sind SAP-Kunden wirklich?
Wie immer schreibt die Presse gerne, was schiefgelaufen ist. Die positiven Projekte und Geschäfte bleiben oft unerwähnt. Aber es gibt auch nicht so viele SAP-Kunden, die laut ihre absolute Zufriedenheit äußern. Es gibt sie, klar. Aber für die Größe der SAP scheinen das nicht so viele zu sein.
Der immer wiederkehrende Vorwurf: Aus Sicht der Anwender wird viel versprochen, aber oft wenig gehalten. Gefühlt ist SAP sehr teuer und bringt viel zu wenig Nutzen. Oder es dauert sehr lange, bis dann alles zur Zufriedenheit funktioniert.
Was ist im CRM-Bereich?
Wenn wir unsere CRM-Projekte durchführen, dann ist sehr oft das ERP von SAP anzubinden. Daher darf SAP schon aus politischen Gründen in der Auswahlphase mit seinem CRM-Produkt C4C mitspielen. Aber gewonnen hat SAP mit seinem CRM in den von uns durchgeführten Ausschreibungen in 18 Jahren nur einmal.
SAP ist seit Jahren Getriebener. a) Wegen seiner eigenen Vergangenheit und b) wegen dem Hang zur Gigantomanie und c) wegen des Börsenkurses, der zu stetigen Wachstum verdammt.
Nur scheint eben die Produktpolitik immer erst verzögert oder auf lautes Wehklagen hin verbessert zu werden. Gerade mit dem CRM C4C versuchte man immer wieder den großen Wurf, um Salesforce oder Microsoft einzuholen. Es funktioniert aber einfach nicht. Und im Kernprodukt ERP rasselt es auch immer wieder gewaltig.
Der nächste Versuch vom SAP-Vorstand, Ruhe in den Karton zu bekommen ist die Initiative „RISE with SAP“. Was das ist, kann man hier als Video anschauen.
Welche in dem Video als wichtigste Kennzahlen genannt werden:
Ca. 70 % bis 80 % der SAP-Kunden sind noch im alten ERP-Programm der SAP. Das Alter der installierten Lösung ist durchschnittlich 7 Jahre alt. Das bedeutet: Es ist quasi ein Herkules-Akt, diese vielen Kunden auf SAP S/4HANA umzustellen.
Aus heutiger Sicht bleibt nur zu sagen: Da haben die Vorgänger von Christian Klein ihm ein schönes großes faules Ei ins Nest gelegt. Das war absehbar und man hätte das strategisch sauber vorbereiten können, ja müssen. Wie so oft wurde mehr auf Neukunden und weniger auf Bestandskunden geschaut. Jetzt wird dadurch der Druck nur noch größer.
Und in Zeiten knapper Kassen (z. B. wegen Corona) ist das ein Grund für Anwender, auch andere Anbieter als SAP in Erwägung zu ziehen.
SAP kommt wegen Produktproblemen nicht zur Ruhe – Fazit:
Je nachdem, wie das Gerichtsurteil ausfällt, könnte für SAP eine kritische Lawine ins Rollen kommen. Ob das dann in einer Klagewelle endet, wage ich zwar zu bezweifeln. Das werden die Anwälte und die Kundenberater von SAP schon versuchen abzuwiegeln bzw. Kompromiss-Vorschläge aushandeln. Aber teuer kann das sehr wohl werden. Zumal das Geld für Weiterentwicklungen und RISE with SAP fehlen wird.
Und – das wird die Konkurrenz wieder freuen – SAP ist mehr mit sich selbst als mit den Kunden beschäftigt.